Ich habe lange mit mir gerungen, dieses Thema auf meinem Blog anzusprechen. Irgendwie erschien es mir falsch. Es erschien mir „aufmerksamkeitserheischend“- denn gefühlt hat ja jeder Youtuber, Blogger und Instagrammer irgendeinen persönlichen Skandal in der Hinterhand, der bei passender Gelegenheit gegen Likes eingetauscht werden kann. Sei es ein Wohnungseinbruch, die besondere Krankheitsgeschichte oder die klassische Mobbingvergangenheit. Wie heißt es so schön „Jeder hat sein Päckchen getragen“ – aber muss auch jedes Päckchen in die Öffentlichkeit? Genau diese Frage stelle ich mir seit Jahren und habe mich nie gut dabei gefühlt, die Thematik öffentlich zu machen. Klar, hier und da klang mal an, dass ich des Öfteren schlechte Laune habe oder auch mal depressive Verstimmungen. Das ich Sport in der Schule nicht mochte und mir über die Jahre ein neues Selbstwertgefühl aufgebaut habe, war auch schon Thema meiner Beiträge.
Aber wisst ihr was? Das sind Verniedlichungen. Maßlose Untertreibungen. Fast schon freche Verleumdungen meiner jungen Jahre.
Denn wenn ich an meine Jugend zurückdenke. An die Jahre, in der meine Klassenkameraden vielleicht das erste Mal feiern waren oder sich verliebt haben, dann sehe ich schwarz. An einige Zeitabschnitte kann ich mich nicht mal mehr erinnern. Vermutlich möchte ich es auch nicht. Ich habe es verdrängt, einige Bruchstücke sind noch da. Die kommen etappenweise zu Besuch in meinen Gedanken. In bestimmten Situationen, in denen ich doch eigentlich die junge starke Frau sein möchte, die ich nach außen hin bin. Aber innen eben nicht. Ganz plötzlich fällt da die Fassade und mit ihr mein ganzes Selbstbild. Inzwischen kann ich damit umgehen, wenn ein solcher Strudel mich erwischt und verschlingen möchte. Dann stecke ich nur noch zur Hälfte im Schwarz und kann mich ohne Hilfe befreien. Früher ging das nicht. Ganz schleichend hat sich diese Beklemmung in mein Leben geschlichen. Mir körperliche Beschwerden bereitet.
Übelkeit, Schmerzen, Herzrasen – teilweise so gravierend, dass ich dachte ich müsste sterben.
Ich wollte ins Krankenhaus und irgendwie auch doch nicht, weil ich mir oft gewünscht habe, einfach nur zu schlafen. Ganz lange, ohne jemals wieder aufzuwachen. Meine Gedanken haben angefangen mich zu zerfressen. Wie kleine, biestige Maden haben sie angefangen mich zu zersetzen. Erst haben sie mir meinen Körper genommen, mein Essverhalten manipuliert. Mich anschließend sozial isoliert, sodass ich fast meine Chance auf das Abitur (mein damaliger Lebenstraum!) verpasst hätte. Ich war insgesamt über ein Jahr nicht in der Schule. Ich konnte das Haus nicht verlassen. Der Weg vom Bett zur Dusche und von der Dusche auf die Couch war ein Leidensweg. Schwer vorstellbar, oder? Stell dir vor, wie du dich vor deiner Abschlussprüfung gefühlt hast und kombiniere dieses Gefühl mit dem Schmerz des frischen, wunden Liebeskummers. Diese Aufregung, das stark klopfende Herz, die schweißnassen Hände, der unruhige Magen und die zwanghaften Gedanken, die ausschließlich um diese eine Problematik kreisen – nur das es hier eben keinen konkreten Auslöser gibt.
Es gibt kein „Die Prüfung ist bestanden“ mit anschließender Erleichterung. Dieser vom Herzen fallende Stein existiert nicht.
Du bleibst unter diesem vernichtenden Dauerstress, welcher dich nicht essen, nicht schlafen, nicht reden und schon gar nicht leben lässt. Jede Sekunde meiner Existenz war ich benebelt von der Vorstellung, dass gleich etwas Schlimmes passieren könnte. Wenn ich nun das rechte Bein bewege, werde ich dann von solch einer Panik ergriffen, dass ich daran krepieren könnte? Ganz vorsichtig habe ich mich also unter ständiger Qual durch den Tag geschleppt und nicht mehr daran geglaubt, dass es jemals wieder besser werden könnte. Meine Gedanken bestanden aus purer Angst. Angst davor mich zu blamieren, Angst davor abzunehmen, Angst davor fertig gemacht zu werden, Angst davor zu sprechen, Angst davor in der Öffentlichkeit zusammen zu brechen.
Eine generalisierte Angststörung war geboren – herzlichen Glückwunsch. Gewusst habe ich das sehr lange Zeit nicht.
Auch meine damalige Therapeutin, der ich unglaublich viel verdanke, hat mir – zum Glück! – damals keine konkrete Diagnose genannt. Ich kann euch versprechen, ich hätte diese Diagnose sonst gegoogelt, jedes mögliche Symptom an mir gesucht und wäre über diese panische Suche nur noch weiter von mir abgerückt. An dieser Stelle liegt auch schon ein Übel begraben. Ich habe mir nicht vertraut. Ich war der Inbegriff eines nicht vorhandenen Selbstvertrauens. Meinen Körper habe ich so sehr abgelehnt, dass ich mir manchmal vorgestellt habe, wie schön es wäre, meinen Kopf abzutrennen und auf einen liebenswerteren Körper zu setzen. In meinem Fall war das ein dickerer, einer der mehr der Norm entsprach eben. (und liebe Leute an dieser Stelle sei gesagt, dass auch dünne Menschen unter ihrem Gewicht und einer Reduktion auf diese Äußerlichkeit leiden!) Das klingt sehr krass, aber genau das waren meine Gedanken. Meine Symptome, die wie ich nun weiß, die einer Panikattacke waren, habe ich natürlich auf ein Versagen meines ungeliebten, unzuverlässigen Körpers geschoben. Dieser verdammte Körper, dem man nicht trauen kann. Der zusammenbricht, wenn man ihn aus dem Haus hievt. Der mich beschämt. Der mich ausgrenzt. Mich zu einem nicht dazugehörigen Loser macht.
Doch das ist natürlich nur ein Puzzleteil des ganzen Dilemmas.
Nach wie vor merke ich im Alltag hin und wieder, dass mich diese schlimmste Phase meines Lebens noch mehr tangiert, als ich eigentlich will. Auch wenn einiges aufgearbeitet ist, ich mit Krisen besser umgehen kann und keine Sorge mehr habe, wieder den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich kenne zum Beispiel einige Lieder nicht, die während meiner Krisen-Zeit meiner Generation super angesagt waren. Die in jeder Disco liefen. Ja genau, in diesen Clubs, wo jeder war. Ich nicht. Mein Jugend, mein lebendiges jungen Erwachsenen-Leben, dass begann erst in der 11.ten Klasse. In der zweiten 11. Klasse, denn in der ersten war ich ja nicht da. Ich bin darüber nicht wütend oder traurig. Ich werde mir dessen nur bewusster. Seit meiner schlimmsten Zeit und einiger Rückschläge, geht es mir seit ca. sieben Jahren soweit gut. Ich denke, dass ich niemals davon geheilt sein werde. Ich nehme diese Angst mit, wohin ich auch gehe, aber ich trete mit ihr in Kontakt und lasse mich nicht mehr so schnell zermürben.
Was bleibt ist das Wissen. Das Wissen, wie Angst sich anfühlt. Und das Wissen, wie ich mir von meiner Angst nie wieder mein Leben nehmen lasse.
Das mit der Angst kann ich dir nachfühlen. Ich möchte nicht näher darauf eingehen. Aber es ist ein Thema, über das man ruhig mal schreiben kann. LG
NERV NICH