Schon bald 8 Jahre arbeite ich selbstständig in der Onlinewelt. Als klassischer Blogger der alten Schule, bin ich nun plötzlich „Influencer“. Das war ungeplant und auf den Job hätte ich mich wohl nicht beworben. Aber nun bin ich da und obwohl sich einiges verändert hat, bleibt der Kern doch gleich. Die Erfahrungen ähneln sich, die Leute sowieso. Ob positiv oder negativ – es kommt in diesem Business, wie auch in jedem anderen vor allem darauf an, was man selbst daraus macht. Viele befremdliche, unangenehme und natürlich auch schöne Erfahrungen habe ich über die Jahre hinweg auf unzähligen Reisen, Pressetrips, Events und Fashion Weeks sammeln dürfen. Einige köstliche, skurrile Anekdoten eines Mittelklassebloggers, der immer mit dabei war, aber nie zur Elite gehörte, möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten. Ich wünsche viel Vergnügen und eine gute Zeit.
Influencer-Fails: Mein wenig glamoröser Auflug nach Hollywood!
Ich sitze auf dem Boden eines der angesagtesten Hotels in West Hollywood. Eigentlich sitze ich nicht nur auf dem Boden. Ich bin auch am Boden zerstört. Ich trinke Whiskey aus der Minibar meines riesigen Hotelzimmers, weil es keinen Wein gibt. Das Zimmer ist nicht nur riesig und Ich darin ein winziges Häuflein Elend, es ist auch kalt (weil krass klimatisiert) und so düster wie das Klischee einer Gruselvilla. Aber das hier soll alles schick sein und hätte ich meinen Freund oder meine Familie dabei, könnte ich den Charme des 300,- € pro Nacht Hotels wohl auch erkennen. Aber zurück zur Realität. Ich weine und bemitleide mich. Der Whiskey schmeckt nicht und ich trinke ihn nur weil ich „mit der Gesamtsituation unzufrieden bin“. Warum? Dazu kommen wir später. Ich habe mich hirngewaschen von meinen eigenen kalenderspruchreifen Motivationssprüchen alleine auf Pressereise begeben. Nach Los Angeles. Nach Amerika. Ich war nie vorher alleine soweit entfernt von zuhause und habe nicht mal auf unbewohnten Inseln Thailands einen solchen Kulturschock erlebt wie in den elitären Kreisen Hollywoods.
Wie ihr wisst, bin ich zwar ein aufgeschlossener Mensch, aber definitiv niemand, der mit einem lauten, extrovertierten „Hey, how are you doin? Oh wow you are so beautiful“ auf fremde Menschen zugeht. Und ich fühle mich fast schon sozial inkompetent, wenn mich mein Gegenüber mit einer solch dröhnenden Aufgeschlossenheit empfängt. Vor allem wenn ich keinen Koffer habe und mit den ausgetrockneten Kontaktlinsen, die meinen Augapfel schmerzvoll auszehren, weil ich mit ihnen sowohl im Flugzeug, als auch in der ersten Nacht im Hotel geschlafen habe, einer alten Jogginghose und ohne Make-Up im Poolbereich des Hollywood Roosevelt Hotels sitze und mich entgegen meiner Natur ganz hinten verstecke, wenn es zum Gruppenfoto kommt. Mit ungeahnten Schwierigkeiten umgehen zu können war nie meine Stärke und gecancelte Pläne oder „es-ist-etwas-dazwischen-gekommen“ enttäuschen mich entweder maßlos, machen mich sauer oder verzweifelt. Wenn also bei der größten Pressereise, die ich bis dato je erleben durfte, mein Gepäck samt Kamera, Outfits die ich in mühseliger Kleinarbeit vorher passend zusammengestellt habe, Make-Up und Waschtasche (nie wieder vergesse ich Letzere im Handgepäck) und all dem was man sonst gern so dabei hat, nicht auf dem Gepäckband steht – wohlgemerkt als einzige Reisende der fancy Bloggergruppe – dann bin ich schon mal ein wenig ungehalten.
Englisch-LK Auffrischung oder Koffer, Pech und Pannen
„Oh wow this is amazing“, „I love L.A“ und “ I dont want to leave“ sind übrigens die Standardsätze, die man wohl aus Anstand wie eine Aufziehuhr in Dauerschleife vor sich hin sagt, um sich dem Gruppengefüge anzupassen. Ich stimme den Aussagen zu, kann dabei aber entweder nur an meinen Koffer, meine trockenen Augen oder meine Jogginghose denken. Ich spreche übrigens auch am mit am schlechtesten Englisch. Trotz Englisch-LK. Die Scham ist physisch spürbar. Die anderen Influencerinnen kommen hauptsächlich aus Dänemark, Norwegen und Schweden und ihr English ist so beeindruckend gut, das ich überwiegend schweige.
Gekrönt wird unser Aufenthalt durch das Highlight und den Grund der Pressereise. Unser Umstyling! Wir sind bei einem Starfrisör. Madonna, Ashlee Simpson, Alessandra Ambrosia – er hatte sie alle und er ist – nennen wir es vorsichtig exzentrisch. Jedenfalls aber sehr präsent und liebt es aus unaufgefordert von unzähligen Eskapaden und vor allem der eskalierten Party am Vortag zu erzählen. Diese ging bis in die Morgenstunden und wir haben jetzt gerade erst 10 Uhr morgens und er trinkt schon wieder munter Champagner. Dazu beherrscht er sein Handwerk perfekt, er ist ein Könner. Und er ist „auf Zack“. Komisch, wie geht das eigentlich? Ja, das frage ich mich als damals noch unbeflecktes Dorfkind, welches als höchste aller Ekstasen den Rausch der dritten Vodka-Energie Mische im Club A7 kennt. Danach konnte ich übrigens stundenlang nicht schlafen, war verstört und bin auf den guten, alten Vodka-O umgestiegen.
Breakdown, Auferstehung und: Was habe ich daraus gelernt?
Aber gut, setzen wir an meinem persönlichen hollywoodreifen Breakdown an, der passenderweise auch noch mitten in Hollywood geschah. Weder mein Freund, noch meine arme Familie konnte das Leid des verschollenen Koffers lindern. In Kombination mit einem wirklich lächerlichen Schluck Whiskey aus der Flasche, einer nachwirkenden Schlaftablette aus dem Flugzeug und dem sowieso vorprogrammierten Jetlag durch die lange Flugreise, war ich am ersten Tag in Los Angeles wirklich ein Wrack. Ein Wrack, welches das Wort Wrack auch sinnbildlich verdient hat. Kim in Amerika: Die zwei Tage alten Kontaktlinsen gesundheitsgefährend im Auge klebend mit den erbärmlichen Schminkresten meines Handgepäcks „zurecht gemacht“ auf dem Weg zum Pool Event. Ich bin sowas von fancy. Die Bedeutung von „neben sich stehen“ wurde mir hier zum ersten Mal so richtig bewusst und ich glaube, dass ich an diesem Tag eine schon fast bewusstseinserweitertende Erfahrung sammeln konnte. So seht stand ich neben mir. Meinen Koffer hat dies natürlich nicht interessiert, er kam erst nach zwei Tagen an und ich habe auch die mir zustehende Erst-Ausstattung aufgrund von Gepäckverlust nie in Anspruch genommen, weil ich solche Sachen nie in Anspruch nehme, da mir das Prozedere zu anstrengend ist. Ich glaube auf solche Menschen wie mich, setzen die Menschen, die Ersatz-Leistungen bei Ausfall anbieten. Ich bin also ein Gewinn für jede Airline, deren Gepäck Verspätung hat. Auch ein Talent, oder? Wenn man zwanghaft nach etwas Positiven sucht, könnte man hier jedenfalls ansetzen.
Nach zwei Tagen dann die Erleichterung: der Koffer ist da. Ich lebe die restlichen zwei Tage in einer Mischung aus Euphorie und Verunsicherung. „Könnte nicht noch etwas schiefgehen?“ – Nein, tut es zum Glück nicht. Ich sehe Venice Beach, ich sehe Beverly Hills, den Hollywood Boulevard und West Hollywood. Das alles ist surreal und wenn ich daran zurückdenke schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Das eine bewundert diese Welt, das andere fühlt sich von ihr maßlos erschlagen. Zudem wird mir immer wieder wie mit dem Vorschlaghammer bewusst, das ich nicht mal im Ansatz in die glitzernde Welt von Hollywood passe, die ich mir als Teenager als die Erfüllung aller Träume vorgestellt habe. Der Trip ist grandios organisiert und bietet uns den Zugang zu sämtlichen vorstellbaren Privilegien, die ich sonst niemals erleben dürfte. Dafür bin ich unendlich dankbar. Alle Erfahrungen, die ich gesammelt habe, stellen also niemals diese Chance, die Kooperation als Solche oder das Erlebte in Frage. Im Gegenteil, ich konnte viel über mich selbst lernen. Das ich absolut kein Smalltalk Talent habe zum Beispiel. Auf Englisch jedenfalls nicht. Und ich bin in extrovertierter Gesellschaft kein unterhaltsamer Zeitgenosse. Der Promi Frisör jedenfalls fragt mich gegen Ende des Umstylings „Wie es sich denn anfühlt wie ein Celebrity behandelt zu werden?“. Ich antwortete perplex „Keine Ahnung, ich bin keiner“. Ich bin Kim Ahrens, komme aus Kassel und habe den Witz nicht verstanden. Und wahrscheinlich geht es mir mit der Glamour-Welt ganz genauso. Und damit kann ich ziemlich gut leben.
P.S.: Auf den Bildern, die ihr seht war der Koffer schon da, denn vorher hatte ich ja leider keine Kamera.