„Positives Denken und Optimismus liegen im Trend.  „Das eigene Mindset verändern“ und Selbstoptimierung werden angepriesen, wie einst die „10 Gebote“. Persönlichkeits-Coaches schießen wie Pilze aus dem Boden und viele Menschen hinterfragen ihre vermeintliche Negativität und das eigene Denken mit wiederkehrenden Zweifeln. Fast schon unnatürlich motiviert wirkende Trainer verkaufen über Youtube und Facebook ihre Denkanstöße als Allheilmittel für ein angeknackstes Selbstbewusstsein und verweisen auf Techniken, die das negative Denken umwandeln und eliminieren sollen.

Positive Affirmationen werden gepredigt und versprechen Gesundheit, Glück und Selbstliebe.

Facebook-Anfragen von immer lächelnden Frauen, die durch eine Ernährungsumstellung „ihr Leben verändert haben“ erreichen mich im Wochentakt. Dahinter steht nicht selten ein gekonnt verstecktes Schneeballsystem, welches auf diese Weise neue Kunden generiert. Leuchtende Avocado Toasts, überbelichtete Sixpacks und unscharfe Vorher-Nachher Bilder springen mir auf deren Timeline entgegen und ich drücke misstrauisch auf „Ablehnen“. Im Kopf bleibt die Anfrage dennoch für einen Moment und manches Mal habe ich das Gefühl, dass die Sekten von heute sich unter dem Deckmantel der „positiven Energie“ tarnen und ihre unsicheren (und natürlich zahlenden) Persönlichkeiten mit abgenutzten Zitaten und pinken Buddha Bowls locken. Was in der Religion ein allmächtiger gütiger Gott ist, ist nun der Mental-Coach vor seiner Magnettafel und seinen oftmals marktschreierisch vermittelten Thesen zum neuen, besseren Leben. Immer öfter habe ich das Gefühl mich für meine „schlechte Laune“ rechtfertigen zu müssen. Ich schäme mich sogar regelrecht dafür, dass ich oftmals mit mir hadere und in Selbstzweifeln versinke. Dabei habe ich schon vielfach und auf unterschiedlichste Weise versucht gegen diese „Verstimmungen“ vorzugehen. Mit Sport, mit Therapien, mit viel frischer Luft und guten Gesprächen – all das hilft. Ich habe mich stark verändert und dennoch bin ich oft niedergeschlagen.

Gehe ich also den falschen Weg der Negativität? Einen Weg der mich mit einem unglücklichen, ungesunden und wenig erfolgreichem Leben bestrafen wird?

Ich würde mal so frech sein und behaupten: Nein. Eingestehen muss ich mir natürlich einen Hang zur Depressivität und Ängstlichkeit. Das ist Fakt und ich schäme mich auch nicht dafür. Eine grundlegende Skepsis ist in meinem Denken schon immer vorhanden gewesen. Dieser dauernd nagende Zweifel kann in seinen extremsten Auswüchsen natürlich einen immensen Schaden anrichten und die Lebensqualität zerstören. Dennoch wünsche ich mir kein Leben durch eine rosarote Brille. Ich möchte keine Glückshormone durch den Verzicht von Zucker herbeirufen und jeden „negativen Menschen aus meinem Umfeld verbannen“. Durch gewisse Umstände kann jeder Mensch zu diesem „Energie-Vampir“ (wie sehr HASSE ich diesen Begriff) werden, der im Anschluss von all den geläuterten „Positive Minds“ aus seinem sozialen Umfeld verbannt wird.  Ich möchte auch nicht jeden Morgen aufstehen und mir vorm Spiegel sagen, dass ich „gut bin, so wie ich bin“. Ich möchte auch nicht bei Facebook teilen, dass jeder verdammt noch mal seinen Traum leben kann, wenn er denn nur will. Und überhaupt finde ich die Propaganda in Bezug auf das eigene Selbst nur noch überzogen und fast schon so ungesund, wie ebendiese Negativität, die dem menschlichen Dasein ja angeblich so schadet. Ein gesundes Gleichgewicht entsteht schließlich nicht durch das Ausgrenzen einer Emotion.

Wie kann ich mich wirklich freuen, wenn Freude doch ein Dauerzustand ist? Wenn ich mit einem fest getackertem Grinsen durch mein Leben schwebe und jedem auf die Frage nach meinem Befinden „Mir geht es immer gut, das ist eine Frage der Einstellung“ antworte.

Der Erfolg dieser Bewegung basiert natürlich auf dem Verlangen eines jeden Menschens nach einem glücklichen Leben. Ich würde es auch keinem unsicheren, unglücklichem Menschen zum Vorwurf machen, sich in solch eine Spiritualität zu flüchten. Ein Auffangnetz braucht schließlich jeder von uns. Man mag auch von Schneeballsystemen halten was man will, solange sie nur Putzutensilien und Make-Up verkaufen, kann ich sie gern akzeptieren. Der Umgang mit der menschlichen Psyche ist allerdings komplexer und ein Coach ohne jegliche Lizenzen, der sich lediglch auf seinen eigenen Erfolg als Nachweis beruft, ist niemand dem ich die Macht über das einzig wirklich wertvolle geben möchte, was ich besitze: meine Gedanken. Niemand braucht sich wegen seiner schlechten Laune schlecht zu fühlen. Und erst recht sollte niemand aufgrund seiner vermeintlich negativen Ausstrahlung aus der Gesellschaft der vermeintlich elitären positiven Menschen ausgeschlossen werden, die sich anmaßen nur unter ihresgleichen „wachsen“ zu können. Meiner Meinung nach gelingt nämlich dieses Wachstum vor allem durch Austausch mit unterschiedlichen Menschen, die Verschiedenes erlebt  und dadurch natürlich auch voneinander abweichende Einstellungen zu bestimmten Themen haben. Ich plädiere natürlich nicht dafür, sich ständig in einem Umfeld aufzuhalten, in welchem man sich nicht wohlfühlt oder grundlose Anfeindungen und Beleidigungen einfach so über sich ergehen zu lassen.

Es geht mir vor allem darum zu akzeptieren, dass Schlechtes per se nicht schlecht ist.

Negative Gedanken regen zum Nachdenken an, können sich in Kreativität äußern und zu spannenden Problemlösungen führen. Ein guter Freund wird in einer Phase der Niedergeschlagenheit oftmals erst richtig sichtbar und manchmal kann es auch befreiend sein sich ein wenig in der miesen Alltagsstimmung hängen zu lassen und grantig vorm Fernseher zu sitzen. Niemand kann sich durch dauerhaft erlebtes Glück weiterentwickeln und Erfahrungen sammeln. Und wer in einer tiefen Krise steckt, dem hilft auch kein „Carpe Diem“ auf seiner Facebook-Timelime. Überhaupt helfen manchmal keine positiven Gedanken, die krampfhaft alle Zweifel und Sorgen überdecken sollen, sondern einfach die Akzeptanz, dass das Schlechte zum Leben dazu gehören muss und wir statt eines positiven Mindsets vielleicht eher einen Frieden mit unserer schlechten Laune schließen sollten. Wer weiß, vielleicht verflüchtigt sie sich dann ja von ganz alleine.

Wie steht ihr zu diesem Thema? Habt ihr euch vielleicht auch schon mal dabei ertappt, wie ihr euch für eure „Negativität“ geschämt oder verurteilt habt? Ich freue mich auf einen spannenden Austausch in den Kommentaren oder auch gern via Instagram oder Mail!

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6 thoughts on “Ja zur schlechten Laune: Nein, danke, ich möchte kein positives Mindset

  1. Ich finde es gar nicht mal so schlimm zu zugeben, dass man eben nicht immer das viel gelobte „positive Mindset“ hat. (by the way finde ich den Begriff „Mindset“ absolut grässlich). Mir sind Menschen, die auch mal schlechte Laune haben und nicht positiv denken meistens sogar viel sympathischer. Ich finde es nämlich total unglaubwürdig, wenn jemand ständig nur gute Laune hat und das Glas immer als „halbvoll“ ansieht.

    Liebe Grüße, Milli
    (https://www.millilovesfashion.de)

  2. Ich stimme dir da zu, jeder hat mal schlechte Phasen und da darf man sich dann eben auch mal entsprechend verhalten. Ich finde es nur wichtig, dass man solche Phasen akzeptiert und sich immer bewusst ist, dass es eine mal kürzere, mal längere Phase ist, die wieder vorbei geht, und man nicht „für immer“ darin versinkt. Das verstehe ich eigentlich unter positiver Lebenseinstellung, und nicht das Dauergrinsen auf Facebook oder sonstwo :D