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In einer vergangenen Kolumne hatte ich euch ja bereits ein wenig davon erzählt, was ich von einem zwanghaft positiven Mindset und all den Coaches halte, die dieses vermitteln wollen. Neben diesen positiven Schwingungen, gibt es einen weiteren Trend, den ich immer misstrauischer beäuge. Den Trend zur individuellen Erfolgsgeschichte. Kaum ein Tag vergeht, an welchem wir nicht mit der wahnsinnig beeindruckenden Chronik eines stets an seinen Traum glaubenden Menschen konfrontiert werden. Meist aus dem Grund, weil diese Traumverwirklicher ihr persönliches Geheimrezept für Erfolg auf Youtube & Co in Form eines Kurses auch uns (bisherigen) Versagern näher bringen möchten. Denn schließlich kann doch jedem mit dem richtigen Konzept zu einem glücklichen, reichen und erfolgreichen Leben verholfen werden, oder? Die Antwort dieser beeindruckend jungen, reichen UnternehmerInnen lautet einvernehmlich: Ja, ja und nochmals Ja! (Besonders häufig in Form von Werbeunterbrechungen auf Youtube).

Ich frage mich nur, warum ich dann so wenige Selfmade-Millionäre oder Business-Queens persönlich kenne? Sind etwa all meine Mitmenschen zu geizig in einen Online-Kurs zu investieren, der sie im Anschluss unter Garantie zu ihrem Ziel bringt? Befolgen sie einfach das dargestellte Konzept nicht richtig? Oder habe ich nur die berüchtigten Energie-Vampire um mich, die mich mit ihrem Versagen mit herunterziehen? Und überhaupt, warum besteht die Welt nicht ausschließlich aus siegreichen selbständigen Content-Creators, Fitnessmodels und Sinnfluencern? Und das obwohl die Business-Coaches allsamt ihre Zahlen veröffentlichen und in der Regel unglaublich viel mit ihren Kursen verdienen. Demnach müssten ja viele Menschen ihrem Modell folgen. (Ist überhaupt so viel Platz auf der Welt für Selfmade-Millionäre?) Ich wage mal eine These aufzustellen:

Kann es sein, dass Erfolg, Geld und das ständige Streben nach Perfektion kein sinnvoller Antrieb für Zufriedenheit ist?

Dazu habe ich mir einige Gedanken gemacht und möchte sie heute mit euch teilen. Zunächst einmal ein Zugeständnis: Diese Erfolgsstorys lassen mich nicht kalt. Ich scrolle nicht teilnahmslos an ihnen vorbei oder klicke jedes Video süffisant lächelnd weg. Natürlich gibt es in uns allen irgendwo den Wunsch nach Anerkennung und Zuspruch. In welcher Form auch immer. Dieses absolut menschliche Verlangen in uns wird sich immer vergleichen und natürlich auch auf solche erfolgsversprechenden Inhalte anspringen. In welchem Ausmaß das geschieht ist ganz individuell. Bei mir ist es abhängig von meiner Gesamtstimmung. Da gibt es Tage an denen empfinde ich mich als Versager und stelle alles in Frage, was ich in meinem Leben so tue. Meinen Beruf, mein Aussehen, meine Gesundheit, meinen Alltag – einfach all das, was mich betrifft. An anderen Tagen bin ich ausgeglichen und „eigentlich ganz glücklich“. Diese Tage überwiegen (inzwischen) und auf diese Tage fixiere ich mich. Hier kann ich klar reflektieren. Heute ist so ein Tag und ich empfinde keinen Druck, keinen Stress und auch keine Unzufriedenheit, wenn ich über mein Leben nachdenke. Ich habe nicht dieses eine große Ziel vor Augen. Ich bin hier und jetzt da. Ich möchte keine Millionen erwirtschaften, ich möchte keine 100.000 Follower haben und ich möchte mich schon gar nicht mit oder über meinen Erfolg definieren. Ich möchte vor allem Spaß an dem haben, was ich tue. Ich möchte ehrgeizig an kleinen Projekten arbeiten, mich von Ast zu Ast hangeln und auch gern eine Zeit lang auf diesem Ästchen verweilen können ohne unter permanenter Anstrengung schon nach dem nächsten Ausschau halten zu müssen.

„Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst!“ ist DAS Motto meiner Generation.

Und es ist ein eingepflanzter Antreiber, der ständig im Hinterkopf sitzt und uns vormacht, dass wir noch lange nicht genug sind und das doch noch so viel mehr geht. Wenn wir nur kämpfen, uns anstrengen, endlich den Online-Kurs kaufen und uns natürlich niemals auf unseren Lorbeeren ausruhen. Denn das macht faul und Faulheit wird bestraft. Und während wir so vor uns hin kämpfen und uns oftmals in diesem Dschungel der Möglichkeiten verlaufen, zieht das Leben an uns vorbei und auf das erreichte Ziel folgt das nächste. Niemals aufhören, immer „busy“ und immer „on the go“ sein.

Klingt fancy, klingt nach einem begehrenswerten Leben – aber ist es das auch?

Ich bin bin definitiv der Meinung, dass man im seinem Leben den Fokus auf das legen sollte, was einen erfüllt. Sei es in Bezug auf Job, Partnerschaft oder Hobby. Lebenszeit ist kostbar und Lebenszeit lässt sich mit Geld nicht kaufen. Erfolg, wie auch immer er definiert sei, gehört zu unserem Leben dazu. Die privaten Erfolge, die beruflichen Erfolge und das stetige Setzen von neuen Zielen ist eben nicht komplett wegzudenken. Denn ganz ohne einen Sinn, der uns dazu bringt aufzustehen und einer Tätigkeit nachzugehen, funktioniert das Leben nicht. Wovon ich mich allerdings entfernt habe, ist der Glaube, dass ich mich zu jeder Zeit optimieren muss, um mich gut zu fühlen. Das ich ohne eine nachweisbare Erfolgsgeschichte weniger wert bin. Denn für all die Zeit, die ich damit verbringe besser zu werden, um mich endlich glücklich fühlen zu dürfen, könnte ich schon längst glücklich sein. Ganz ohne Millionen, ohne Businessplan und ohne Karriere-Hacks.

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One thought on “Mythos Erfolg oder warum mein Leben mir reicht

  1. Wahre Gedanken zu einem Thema, dass langsam überhand nimmt. Wenn ich solchen Personen zu höre,denke ich dass ich das im Traum nicht umsetzen kann. Nur drei Tage die Woche arbeiten und dann den Traum leben? Wie geht das? Haben jene Kinder, ein Haus was abgezahlt werden muss? Ich denke, dass jeder für sich sein Erfolgsrezept hat. Jeder weiß was er braucht und manchmal mag es nur ein kleiner Schups sein.